Dienstag, Mai 30, 2006

Jeanne d'Arc - Ein Mythos von schwindener Kraft


Carl T. Dreyer - La Passion De Jeanne d'Arc

»Haltet das Kreuz hoch empor vor meine Augen, bis zum letzten Augenblick.«
Jeanne d'Arc am 30. Mai 1431

Am 30. Mai jährt sich der 575. Todestag von Jeanne d'Arc.

Unter dem Motto 'verraten, verkauft, verbrannt' wurde dem jungen aber ereignisreichen Leben im Mai des Jahres 1431, im von Engländern besetzten Rouen (Normandie, Frankreich), nach einem mehrere Monate andauernden unfairen Prozess im Namen der Kirche, ein qualvolles Ende auf dem Scheiterhaufen gesetzt.

Am 7. Juli 1456, knapp 25 Jahre nach dem Prozess in Rouen, wurde Jeanne in einem weiteren, wenig überraschenden und offiziell von ihrer Mutter angestrebten Prozess, von Papst Calixt III. rehabilitiert. In dem '56er Prozess ging es weniger um Klärung der Ungerechtigkeiten die Jeanne 1431 widerfahren sind, als vielmehr um persönliche Belange Charles VII. und die offizielle Bestätigung seitens der Kirche, dass Charles VII. seine Krönung nicht einer Ketzerin zu verdanken hatte. Der Rehabilitationsprozess von 1455/1456 ist in seinem Ganzen fast noch 'peinlicher' als jener von 1431 - sofern das überhaupt möglich ist.

Im April (11. April 1909) erfolgte die Seligsprechung durch Papst Pius X. und schließlich am 16. Mai 1920 die Heiligsprechung durch Papst Benedikt XV.. Wiederum ging es hierbei nur am Rande um die Person Jeanne, als vielmehr um politische Zeichen und Signale gegenüber Frankreich. Jeanne war, wie schon so häufig, ein erprobtes und probates Mittel der Politik.

Und heute, 575 Jahre nach ihrem Tod? Sie, die von ihrer Mission Überzeugte, die Kämpferin für Gott und Frankreich gerät langsam in Vergessenheit. So ist festzustellen, dass Domrémy und andere Schauplätze heutzutage weitaus weniger von Touristen und Anhängern* frequentiert werden, wie noch bspw. vor hundert Jahren. Das Interesse an nationalen Größen nimmt seit dem Ende des zweiten Weltkriegs und spätestens seit Bestehen der Europäischen Union stetig und rapide ab. Eine direkte Bedrohung Frankreichs, z.B. durch einen mächtigen, feindlichen Nachbarstaat, ist nicht mehr vorhanden, sieht sich aber wie alle Staaten in Europa durch globalen Terrorismus bedroht. Auch die Situation innerhalb der politischen Lager Frankreichs erschwert den Umgang mit diesem Mythos. So haben die politischen Rechten Jeanne d'Arc geradezu für sich annektiert, während die französischen Linken sich stark von dieser Nationalfigur in der Vergangenheit distanzierten und somit Figur und Mythos gänzlich und kampflos den Rechten überließen. Das christlicher Glaube und Religion mittlerweile eine untergeordnete Rolle, nicht nur in Frankreich, einnehmen, tat dann schließlich sein übriges.

Der Name 'Jeanne d'Arc' und der Mythos um die Jungfrau, findet heute inflationäre Verwendung. So gibt es mittlerweile für jede Region und jedes Ereignis eine entsprechende 'Jeanne d'Arc'. Das könnte daran liegen, dass die ursprüngliche Person und die Motivation der Jungfrau aus Lothringen heute aus dem allgemeinen Gedächtnis mehr und mehr entrücken. Die Gesellschaft hat nur noch eine ungefähre Vorstellung von dem, was diese junge Frau für Frankreich bewirkt und erlitten hat. Es reicht vollkommen aus, eine klischeehafte Idee davon zu besitzen und es ließe sich alles Mögliche und Unmögliche mit ihr in einen beliebigen Kontext setzen.

Die Attribute mit der Jeanne d'Arc in Zusammenhang gebracht werden, lesen sich entsprechend und folgendermaßen: kriegerisch, kämpferisch, emanzipatorisch, machtbesessen, egoistisch, narzisstisch, psychopatisch, schizophren, eher protestantisch als katholisch und unheimlich.
Im Grunde reicht es völlig aus eine Frau zu sein und augenscheinlich einen der o.g. Attribute zu besitzen um als moderne Jeanne d'Arc geadelt oder getadelt zu werden - je nach Fall, Situation und politischem Lager.

- Angela Merkel: Jeanne d'Arc der Neuen Bundesländer
- Angela Merkel: Jeanne d'Arc aus der Uckermarc
- Bärbel Bohley: Jeanne d'Arc der friedlichen Revolution in Ostdeutschland
- Renate Künast: Jeanne d’Arc der Hühnerställe
- Katja Ebstein: Jeanne d'Arc der U-Musik
- Alice Schwarzer: Jeanne d'Arc der Frauenbewegung
- Julia Timoschenko: Jeanne d'Arc der orangenen Revolution
- Wera Finger: Jeanne d'Arc der Revolution

Die historische Figur Jeanne d'Arc und ebenso der Mythos, sind auch in einem modernen Europa des 21. Jahrhundert noch zeitgemäß. Die Erkenntnis aus ihrer Leidensgeschichte lehrt uns einen kritischen, hinterfragenden Umgang mit Religion und Politik zu pflegen. Sie zeigt aber auch, dass es sich lohnt, trotz aller Widrigkeiten für seine Überzeugung einzutreten. Natürlich wurde sie politisch nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet, aber dennoch gibt sie seit Jahrhunderten vielen Hoffnung und Perspektive. Ihre Geschichte kann auch nach mehr als 500 Jahren immer noch Menschen aller Altersstufen beeindrucken und Möglichkeiten aufzeigen. Und in Zeiten gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit sollte das nicht unterschätzt werden.

Es wäre einfach eine Tragödie, wenn Frankreich und Europa diese wichtige historische Gestalt vergessen würden.

Just my 2 cents


BILD
Das obige Bild stammt aus dem Stummfilm von Carl T. Dreyer - La Passion De Jeanne d'Arc
Movie: Carl Dreyer - La Passion De Jeanne d'Arc
IMDb-Info: Informationen der IMDb Movie Database

LINKS zum Thema Jeanne d'Arc
Saint Joan of Arc Center {en}
Jeannedarc.info {en}
Joan Of Arc {en}
Ste Jeanne d'Arc {fr}
Jehanne-Darc {de}

Weitere Links (Update)
- St. Peter Helpers {en}
- Paris Daily Photo {en}
- dradio: Mythos schon zu Lebzeiten

*Aufschlußreicher Reisebericht ;)


TAGS
Jeanne d'Arc, Johanna von Orléans, Joan of Arc, Jehanne la Pucelle, Rouen,

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